Wie alles begann: 25 Jahre Musiktage!

Anlässlich des 25. Jubiläums der Starnberger Musiktage haben wir uns mit dem Gründer und künstlerischer Leiter Rudens Turku über seine eigene Geschichte unterhalten, die mit der Historie der Internationalen Musiktage untrennbar verwoben ist

Anlässlich des 25. Jubiläums der Starnberger Musiktage haben wir uns mit dem Gründer und künstlerischer Leiter Rudens Turku über seine eigene Geschichte unterhalten, die mit der Historie der Internationalen Musiktage untrennbar verwoben ist.

Rudens Turku gründete die Musiktage im Alter von 20 Jahren. Geboren als kleiner „Musiktag in Starnberg“ mit 6 TeilnehmerInnen und 20 Köpfen im Publikum, sind die Internationalen Musiktage in Starnberg bei München und Seefeld in Tirol heute eine der wichtigsten Förderprogramme für junge MusikerInnen in Europa. Welcher Kopf hinter den hochkarätigen Musikfestivals steckt, was hinter den Kulissen der Konzerte noch so alles passiert, und von welcher Philosophie die Internationalen Musiktage getragen werden, erfahren Sie im Interview.

 

Guten Tag, Herr Turku! Hier bei der Festivalvorbereitung in Seefeld hat man den Eindruck, einem großen Familientreffen beizuwohnen, auf dem jeder sein Instrument perfekt beherrscht. Stammen Sie selbst denn auch aus einer Musikerfamilie?

Ich bin in den 80er Jahren in Albanien groß geworden, in einem der damals ärmsten kommunistischen Länder Europas. Man könnte sagen: Auf einer „stummen Insel“ – in einem Land ohne Musik. Es war sehr schwierig, Noten und Aufnahmen in die Hände zu bekommen. Ich hatte das Glück, dass mein Vater am Musikgymnasium in Durres Geige und Bratsche lehrte. In meinen frühen Erinnerungen besuchten uns manchmal seine Schüler zum Vorspielen zuhause, und ich durfte zuschauen. Das war mein Glück.

Gab dieser Anblick Ihnen die Initialzündung, die Sie zum Geigenspiel brachte?

Wir waren damals arm, auch an Erfahrungen, Wissen und Informationen. Es mangelte an Vielem. Mein Vater aber legte mir sehr früh die Geige in die Hand. So einfach unsere Umstände waren, so groß war ihre Anziehungskraft auf mich. Musik war ein Reichtum, der nichts kostete. Eigentum, das uns niemand aus der Tasche ziehen konnte. Und sie öffnete meinen Geist und weckte meine Neugier auf die Länder und Menschen, aus der die Stücke mit den seltsamen und wohlklingenden Namen stammten.

Während sich die Situation in Albanien zuspitzte, besuchten Sie im Alter von 6 Jahren das Musikgymnasium, an dem Ihr Vater unterrichtete. Wie kann man sich das heute vorstellen?

Ein langer Korridor. 60 bis 80 Kinder, die dort gleichzeitig und eifrig übten, bis der Lehrer sie hereinrief. Ein chaotisches Konzert der Hoffnung, die Eltern stolz zu machen – bestimmt auch der inneren Flucht. Während andere Kinder Mathe paukten, stand bei uns Gehörbildung auf dem Stundenplan. In einem Land, in dem der Kopf gesenkt, Stimmen gedämpft und das Sprechen gefährlich war, war für uns Kinder auf dem Musikgymnasium das Streichen, Tönen, Trompeten und Pauken Glück und Rettung zugleich.

„Rettung“ bald auch im wörtlichen Sinne: Als Sie in der 8. Klasse waren, begannen Ihre Eltern die Flucht aus Albanien vorzubereiten. Ohne die Musik wäre ihnen das wohl nicht möglich gewesen.

Es kam der Tag, an dem meine Eltern alles außer den Instrumenten verkauften. Auf dem Esstisch lag eine Einladung an meinen Vater für ein Probespiel, das in Deutschland stattfand. So eine Gelegenheit würde nicht wiederkommen. Ein Jahr später dann bekam ich selbst dann die Einladung, im Konservatorium in München als Jungstudent vorzuspielen. Mit 14 Jahren verließ ich Albanien – nicht ganz allein, meine Geige hatte ich dabei.

Ihre Familie hat Sie zur Musik gebracht, die Musik hat Ihre Familie getrennt, und dann hat die Musik Ihre Familie wieder vereint…

…und von da an sollte die Musik mir immer mehr Menschen bringen, die ich heute zu meiner Familie zähle. Nach 2 Jahren Jungstudium am Konversatorium, in denen ich parallel eine Montessorischule in Starnberg besuchte, hatte die Möglichkeit, im Alter von 16 Jahren bei Ana Chumachenco  vorzuspielen. Ana hat mich seither als Mentorin, Lehrerin, Freundin und zweite Mutter durch alle Lebensphasen begleitet. Sie war die wohl prägendste Begegnung für mich, und sie kam zum genau richtigen Zeitpunkt. Ihre unglaubliche Gabe, vor allem aber ihr Gespür für die Menschen, haben mich als Mensch und Professor geformt. Sie ließ mir Freiheit zu rennen, wenn ich rennen musste, und bremste mich, wenn ich mich zu verlieren drohte. Sie spürte meine Sorgen und Unsicherheiten und gab mir das Selbstbewusstsein, radikal nach meiner eigenen musikalischen Sprache zu suchen. Sie half mir, die Angst vor mir selbst zu verlieren, und in mich hineinzuschauen. Dort unten, tief drinnen, liegt der Ton. Die eigene Aussage, das eigene Wollen. Aber auch die ganze Welt, so, wie sie sich in uns verarbeitet.

Ana Chumachenco ist eine Musiklegende, die sich auch stark für Ihre StudentInnen einsetzte. Bei Ihr haben Sie mit 24 auch das Meisterdiplom abgelegt. Hat Ana Sie auf die Idee gebracht, mit 20 Jahren die ersten Musiktage in Starnberg zu gründen?

Woher die Ideen kommen, weiß man ja nie so genau. Ich war so glücklich in dieser Zeit, so inspiriert. Der Unterricht bei Ana war ein großer Teil davon. Ich befand mich in einem Zustand der inneren Entfaltung. In meinem Bauch lag das Bedürfnis, dieses große Geschenk weiterzugeben. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem guten Freund und ehemaligem Kommilitonen Daniel Röhn auf der Rückreise nach einer Konzerteinladung von Igor Oistrach im Zug aus Belgien saß. Vor dem Fenster zog die Welt, und an meinem inneren Auge mein Leben vorbei: Wir Kinder auf dem Musikgymnasium. Ana, die mich unter ihre Fittiche nahm. Unser besonderer Jahrgang auf dem Konversatorium. Ich war noch keine 21 Jahre alt, aber plötzlich war mir klar, dass ich anderen Kindern und Jugendlichen das weitergeben wollte, was mir selbst geschenkt worden war.

So entstand die Idee, aus der sich das heutige Förderprogramm des Music Academy Cirlce entwickelte. Wie kamen Sie denn auf den Standort Starnberg?

Der einzige Ort mit Kindern, den ich gut kannte, war meine alte Montessori Schule in Starnberg. Also traf ich meine ehemalige Direktorin und bat sie um 1-2 Räumlichkeiten, und um die Aula für Konzerte. Anschließend rief ich meine Mutter an, die sich einverstanden erklärte, für uns zu kochen. Da fiel mir noch ein Bekannter ein, der journalistisch arbeitete. Er hatte mit zwar mit Musik nichts am Hut, aber ich gewann ihn für die Idee, die Mozartbiografie zu lesen und für die Kinder über den Sommer Vorträge zu halten. 6 Kinder, vielleicht 20 Leute im Publikum. Die ersten Starnberger Musiktage – oder damals noch ganz einfach der „Musiktag in Starnberg“ – hatten schon diese Magie, die Sie vorhin als „Familientreffen“ bezeichneten.  

Und wie ging es in den folgenden Jahren weiter?

Anfangs war es eine ziemliche One-Man-Show: Ich druckte die Plakate und Programme selbst und kümmerte mich um das meiste. Doch wir hatten das Glück, dass viele Menschen von unserer Idee begeistert waren und uns auf vielerlei Weise unterstützten. In jedem Jahr wollten mehr junge Musiker kommen. Also holte ich befreundete KollegInnen mit ins Boot, wir fanden Stipendien, Bühnen und Unterkünfte. Schließlich gründete ich das Büro Faviola, das sich bis heute ganzjährig um die PR und Organisation der Festivals kümmert. Ich selbst bin heute als künstlerischer Leiter bei jedem Festival für 100 Künstlerseelen da.

Seither sind die Starnberger Musiktage zu einer internationalen Größe in der Musikszene und darüber hinaus gewachsen. Die Musiktage Seefeld in Tirol sind außerdem dazugekommen. Was ist hier die Geschichte?

Mit 18 hatte ich ein paar Tage Urlaub in Seefeld gemacht. Ich fand den Ort einfach genial, wahnsinnig idyllisch und schön. Man kannte Seefeld hauptsächlich durch Olympia aus dem Sport. Doch ich dachte sofort: Hier liegt Musik in der Luft. Als ich dann vor 15 Jahren den Lions Wettbewerb in Hamburg gewann, lernte ich meinen guten Freund Sebastian Sauter vom Lions Club kennen, der, wie es der Zufall will, aus Seefeld stammte. Ich erzählte ihm von meiner Idee, das Festival nach Seefeld zu holen und wir entschieden, ein Konzert zu machen. Ich sagte zu ihm: „lad ein, wen du willst“. Im Publikum saßen der Bürgermeister, die Gemeinderäte und viele wichtige Leute des Ortes. Sie waren sofort von der Idee überzeugt, und seit 15 Jahren gehört der Ort Seefeld zu unserer Festivalfamilie. Jedes Jahr ziehen wir mehr Besucher an, fördern junge Menschen weltweit und aus der Region. Jedes Jahr entscheiden wir uns wieder für diesen Ort – solange ich die Lust verspüre und die Kraft habe, wird Seefeld ein Ort der Musiktage bleiben.

Von Ostern bis Spätsommer können Schüler, Studenten und Stipendiaten im Rahmen des Music Academy Circles Meisterkurse besuchen, gemeinsam musizieren und Konzerte spielen.

Ja, aber nicht nur das. So wie die Musiktage ganz natürlich gewachsen sind, so hat sich auch unser Programm organisch weiterentwickelt. Geigenbauer erzählen in offenen Werkstätten von der Entstehung eines Instruments. Es gibt Vorträge über Musik und Komposition, aber wir gehen auch gemeinsam ins Kino und diskutieren anschließend, was wir gesehen haben. Mit einem Physiotherapeut lernen die Musiker, ihre eigene Physiognomie kennen, denn das Instrument ist nur eine Verlängerung des Körpers. Die Arbeit mit Psychologen soll zunehmend zum integralen Bestandteil der Selbsterforschung der jungen Künstler werden. Es gibt Kammermusik, Gruppenunterricht, Orchester, Open-Air und Solo-Konzerte in Seefelds wunderbarer Natur. Förder- und Publikumspreise. Und wir essen, spielen, singen und wandern zusammen.

Und natürlich gibt es die Meisterkurse: 4 intensive Tage mit einer Professorin oder einem Professor. Was passiert hier eigentlich genau?

Hier haben Studierende die Möglichkeit, mit außergewöhnlichen Musikern zusammenzuarbeiten, Kontakte zu knüpfen, neue Impulse zu bekommen, und Gleichgesinnten zu begegnen. Und sich selbst und ihrem Ton ein Stück näher zu kommen. Jede Professorin und jeder Professor hat seinen eigenen Schwerpunkt. Für mich geht es darum, die eigenen Grenzen kennen- und verschieben zu lernen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch unendlich viele Möglichkeiten in sich verbirgt. Ich möchte meinen Studenten das Vertrauen vermitteln, nach dem Potenzial zu suchen, das im Dunkeln verborgen liegt.

Neben Ihrer Professur an der Stella Hochschule in Österreich und den jährlichen Meisterklassen, sind Sie ein international konzertierender Star-Violinist und das ganze Jahr über weltweit unterwegs. Denken Sie manchmal daran, sich aus den Festivals zurückzuziehen?

Nein, das käme mir nicht in den Sinn. Dieses Projekt ist mit mir, und ich mit ihm gewachsen. Die Orte Starnberg, Seefeld und Flims, die TeilnehmerInnen, von denen einige seit über 10 Jahren kommen, die ProfessorInnen, die Freunde und geschätzte KollegInnen sind – wir sind wirklich eine große Familie geworden. Und wir bekommen unglaubliches Feedback von den Menschen, die an den Festivalorten leben sowie den tausenden ZuschauerInnen, die unsere Musiktage jedes Jahr anziehen. Wir sind Macher, und wir ziehen Macher an. Es finden sich immer mehr Sponsoren, die Teil unserer Festivalfamilie sein wollen, und an der Förderung der neuen Musikgeneration teilhaben möchten.

Was motiviert Sie Jahr für Jahr, die Festivals voranzutreiben?

Im Hintergrund der Musiktage gibt es für Faviola und mich einiges zu tun. Während das Festivalbüro sich auf das Organisatorische konzentriert, um Gelder für Stipendien kämpft und Werbung macht, bin ich das ganze Jahr über mit der künstlerischen Vorbereitung und Leitung des Projekts beschäftigt. Das macht zum einen wahnsinnig viel Spaß, zum anderen zieht mich das Festival auch selbst mit. Es wächst und gedeiht, und wir gehen mit. 

Ich habe Ihnen erzählt, dass ich von einer „stummen Insel“ stamme, in der es an Vielfalt mangelte. Vielfalt – das wissen Sie erst, wenn Sie Kargheit kennengelernt haben – ist für eine Gesellschaft das größte Geschenk. Mit den Musiktagen haben wir einen Ort der Völkerbegegnung geschaffen, an dem junge Menschen zusammenkommen und mit Musik dieselbe Sprache sprechen. Jedes Jahr ist es eine unglaubliche Erfahrung, diese jungen Menschen einander begegnen und sich austauschen zu sehen. Jedes Jahr sind sie auf so viele verschiedene Weisen gewachsen. Es ist großartig, dass uns das gelungen ist.

Inzwischen haben Sie eine ganze Musikergeneration auf den Weg gebracht. Wie hoffen Sie, dass es weitergeht?

Viele der MusikerInnen, die jahrelang an den Musiktagen teilgenommen haben, sitzen im Spitzen-Orchester, unterrichten selbst oder sind erfolgreich konzertierende Künstler. Dass mir damals so große Unterstützung zuteilgeworden ist, hat mich selbst motiviert, jungen Menschen in ihren persönlichen Lebenswegen und Karrieren zu fördern. Wenn auch nur ein Bruchteil unserer TeilnehmerInnen motiviert ist, auch etwas an die nächste Generation weiterzugeben, dann haben wir mit unserer Arbeit eine wunderbare Dynamik in Gang gesetzt und unsere Aufgabe erfüllt.

Ohne nachzudenken: Eine Erinnerung an die Musiktage, die Ihnen sofort in den Sinn kommt?

Vielleicht diese eine: Eine Mutter kam mit ihrem autistischen Sohn, der außergewöhnlich begabt war. Ich hielt ihm zur Begrüßung die Hand hin. Der Junge ging einen großen Schritt zurück. Wir arbeiteten 6 Tage miteinander. Am Ende der Meisterklasse umarmte er mich.

Ich selbst bin einen langen Weg in meinem Leben gegangen. Doch dies schien mir eine schier unendliche Strecke: zwischen einem Schritt zurück zu einer Umarmung. Das habe ich nie vergessen.

Es war spannend, mehr über Sie und die Internationalen Musiktage zu erfahren, Herr Turku. Gibt es etwas, dass Sie einem jungen Künstler aus Ihrer persönlichen  Erfahrung heraus mit auf den Weg geben würden?

Definiere deine eigenen Grenzen nicht. Du hast unendliche Möglichkeiten. Hab Vertrauen und bleib beweglich. Geh neue Wege. Kümmere dich um deinen Körper und um deinen Geist. Schaue über deinen eigenen Tellerrand: Was passiert in unserer Welt? Was hinterlassen wir dem Nachwuchs? Wovon wirst du direkt und indirekt beeinflusst, und wie kannst du selbst Einfluss nehmen? Wir haben die Kraft, mit Musik Veränderungen politisch herbeizuführen. Werde dir deiner Kraft bewusst. Deine Geige ist ein Pfeil mit Bogen. Lerne mit ihr zu schießen, und dein Ziel mitten ins Herz zu treffen. Und: Schenke, was dir geschenkt worden ist, der nächsten Generation.

Herr Turku, vielen Dank für dieses wunderbare Gespräch!

Ich danke Ihnen!